Psychisch erkrankte Kinder und ihre Eltern – Zahlen und Fakten
In Deutschlands Familien leben aktuell etwa 13,4 Mio. (2017) minderjährige Kinder. Zahlen zur Häufigkeit psychischer Erkrankungen zeigen, dass 33,3% der Erwachsenen jährlich eine oder mehrere klinisch bedeutsame psychische Krisen erleiden. Psychische Erkrankungen dauern vergleichsweise lange und beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Familien in allen Lebensbereichen nachhaltig.
Psychisch erkrankte Erwachsene werden genau so oft Eltern wie psychisch gesunde Erwachsene. In Deutschland leben 23% aller Kinder oder anders ausgedrückt, nahezu jedes vierte Kind mit einem psychisch erkrankten Elternteil zusammen.Fachleute gehen davon aus, dass mehr als die Hälfte aller kinder- und jugendpsychiatrisch behandelten Kinder ein oder zwei psychisch erkrankte Elternteile haben.
Die psychische Erkrankung von Eltern ist nicht nur eine immense Herausforderung für die Bewältigung des Familienalltags, sie stellt auch einen großen Stress- und Risikofaktor für die im Haushalt lebenden Kinder dar. Etwa zwei Drittel der betroffenen Kinder entwickeln in der Folge selbst irgendeine psychische Auffälligkeit oder Störung. Ein Drittel der Kinder, deren Eltern an schweren psychischen Erkrankungen wie affektiven Störungen oder Schizophrenie leiden, erkranken selbst an einer dieser Erkrankungen. Die Elternrolle erfordert zahlreiche Kompetenzen, die meisten stehen in direktem Zusammenhang zu der Beziehung und Bindung zum Kind. Psychisch erkrankte Eltern haben vor allem in akuten Krankheitsphasen Schwierigkeiten kindliche Signale und Bedürfnisse zu interpretieren sowie angemessen und zeitnah auf diese zu reagieren. Dies hat unmittelbare und nachhaltige Auswirkungen auf ihr Erziehungsverhalten, das zwischen Überängstlichkeit und zu starker Kontrolle schwanken kann. Für die betroffenen Eltern stellt ihre Erkrankung immer eine sehr große Belastung dar.
„…Um meiner Tochter gerecht zu werden, versuche ich über 100% zu geben, und irgendwann kippe ich aus dem Latschen. Eine große Folge meines Verhaltens ist das schlechte Gewissen. Ich denke dann immer, was habe ich dem „armen Kind getan…“
SKIPSY – Singener Kinder und Jugendliche psychisch kranker Eltern, 2015. Die Alleskönner. Sind wir das? Hrsg. AWO Konstanz
In akuten, mit Klinikaufenthalten verbundenen Krankheitsphasen machen Eltern sich ebenso wie ihre Kinder große Sorgen um deren Versorgungssituation:
„Wenn Mama ins Krankenhaus muss, fühle ich mich allein.“
„Wenn Mama oder Papa in die Klinik müssen, wer kümmert sich dann um uns? Eine solche Situation macht uns Kindern Angst und bringt alles durcheinander. Wenn klar ist, wer sich dann um uns Kinder kümmert, ist dies eine große Hilfe.“
„Wenn der Krankenwagen meinen Papa holt und die Nachbarn glotzen, und mir keiner etwas erklärt, dann fühle ich mich hilflos.“
SKIPSY – Singener Kinder und Jugendliche psychisch kranker Eltern, 2015. Die Alleskönner. Sind wir das? Hrsg. AWO Konstanz
Die betroffenen Eltern haben Angst, das Jugendamt könne ihnen die Kinder wegnehmen. Sie nehmen sich selbst als schlechte Eltern wahr, die sich aufgrund ihrer Erkrankung nicht entsprechend um ihre Kinder kümmern können. Häufig schämen sie sich, nicht den eigenen, aber auch den herrschenden gesellschaftlichen Ansprüchen genügen zu können:
„Es hat sehr lange gedauert bis ich akzeptieren konnte, dass es ein Teil von mir war. Diese Krankheit kann jeden treffen, sie kennt keine Grenzen…, wir Betroffenen sollten uns eigentlich nicht dafür schämen, aber die tragische Wahrheit ist, dass wir es doch tun…“
SKIPSY – Singener Kinder und Jugendliche psychisch kranker Eltern, 2015. Die Alleskönner. Sind wir das? Hrsg. AWO Konstanz
Legt man die eingangs genannten Zahlen zugrunde, so kann grob davon ausgegangen werden, dass in allen ergotherapeutischen Settings ein Drittel unserer erwachsenen Klienten einmal jährlich eine oder mehrere klinisch relevante psychische Störungen aufweist und etwa ein Viertel aller Kinder, die wir behandeln, mit einem psychisch erkrankten Elternteil zusammenlebt. Insgesamt handelt es sich bei Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil also um eine bedeutsame Klientengruppe, der wir als Ergotherapeuten, anders als andere Professionen, in allen stationären, teilstationären und ambulanten Settings unseres Gesundheitssystems begegnen.